Artfekate und Design Knowledge

Was versteht man unter Design Knowledge und welche Formen kann es annehmen?

Bearbeitet durch Carsten Wiecher und Regina Sonntag

DSR Artefakte und Gestaltungswissen

Das Design Science Research (DSR) Paradigma unterstützt einen Problemlösungsprozess, wobei Wissen und Verständnis über einen Problembereich und die potentiellen Lösungen durch den Entwurf und die Anwendung von DSR Artefakten erweitert werden (Hevner et al., 2004). Dabei ist das Ziel von DSR die Erarbeitung von Gestaltungswissen, wie innovative Lösungen für wichtige Probleme effektiv erstellt werden können. Ein weiteres und zentrales Element des Gestaltungswissens ist hierbei ein Bewertungsnachweis, der zeigt, inwieweit die gestaltete Lösung das identifizierte Problem lösen kann (vom Brocke et al., 2020).

Für die Beschreibung des Problems sowie der Erarbeitung und Bewertung der Lösung schlägt (Hevner et al., 2004) ein DSR Framework vor, das in drei miteinander in Beziehung stehenden Bereichen aufgeteilt ist:

  1. Einen Kontext, der dadurch beschrieben wird, dass Menschen (Rollen, Möglichkeiten, Eigenschaften) innerhalb einer Organisation (Strategien, Strukturen und Kulturen, Prozesse) mit vorhandenen Technologien (Infrastrukturen, IT-Anwendungen, Kommunikationsplattformen etc.) ein Interesse an einer innovativen Lösung haben, um Aufgaben zu erfüllen, die sich aus vorhandenen Geschäftszielen ableiten.
  2. Forschungsaktivitäten zur Entwicklung von Theorien und Artefakten und einer Evaluierung inwieweit das adressierte Problem damit gelöst werden kann.
  3. Eine Wissensbasis mit Grundlagen (Theorien, Modellen, Methoden etc.) die für die Entwicklung der Lösung infrage kommen und entsprechende Methodiken (Datenanalysetechniken, Validierungskriterien etc.) zur Bewertung der Evaluationsergebnisse und Erweiterung der Wissensbasis.

Diese Aufteilung soll dabei unterstützen, dass ein Problem adressiert wird, welches für einen bestimmten Kontext eine hohe Relevanz hat und unter Berücksichtigung der vorhandenen Wissensbasis eine wissenschaftlich fundierte Erarbeitung einer innovativen Lösung ermöglicht (Hevner et al., 2004). Im Zentrum steht hierbei das entwickelte Artefakt. Darauf aufbauend beschreibt (vom Brocke et al., 2020), dass Wissen über ein Problem in einem bestimmten Kontext als auch das Wissen über mögliche Lösungen unabhängig voneinander existieren können. Demnach entsteht Gestaltungswissen dadurch, dass der Kontext und davon abhängige Gütekreterien (Problemraum) sowie die Darstellungen möglicher Lösungen und deren Erarbeitungsprozess (Lösungsraum) über die Evaluierung von Artefakten miteinander in Beziehung gesetzt werden. Abbildung 1 verdeutlicht die einzelnen Komponenten des Gestaltungswissens für ein spezifisches DSR Projekt und zeigt wie diese miteinander in Beziehung stehen.

Abbildung 1: Gestaltungswissen für ein spezifischen DSR Projekt (vom Brocke et al., 2020)
Abbildung 1: Gestaltungswissen für ein spezifischen DSR Projekt (vom Brocke et al., 2020)

Die Anwendung eines DSR Frameworks (z.B. nach Peffers et al., 2007) folgt einem iterativen Problemlösungsprozess. Dabei kann das Gestaltungswissen in unterschiedlichen Formen einen relevanten Beitrag zur Problemlösung liefern und entsprechend die Wissensbasis erweitern. Gregor, Hevner (2013) schlagen hierfür eine Kategorisierung in drei unterschiedliche Artefakt-Level vor, die sich hinsichtlich Abstraktion und Reifegrad unterscheiden.

  1. Level 1: anwendbare Instanziierung (Software, Werkzeuge, implementierte Prozesse) (vgl. Hevner et al., 2004)
  2. Level 2: aufkommende/partielle Design Theorie (Methoden, Modelle, Design Prinzipien, technologische Regeln) (vgl. Chandra, Seidel, & Gregor, 2015)
  3. Level 3: umfassende Design Theorie (vgl. (Gregor & Jones, 2007)

Nach dieser Kategorisierung kann eine Design Theorie bottom-up entwickelt werden, beginnend mit einem neuen Artefakt (Level 1), wobei Abstraktion und Reifegrad mit jeder Iteration im Problemlösungsprozess zunehmen können. Hier ist ein wichtiger Aspekt, dass sich der Reifegrad innerhalb des Entwurfswissen auf das jeweilige Artefakt und auch das adressierte Problem beziehen kann (Gregor, Hevner 2013). So kann die Evaluierung eines Level 1 Artefakts zur Herleitung von Design Prinzipien und technologischen Regeln (Level 2) genutzt werden, aber auch zu einer Neuausrichtung oder Eingrenzung der Problemstellung führen.

Beispiele für Ausprägungen

In Wiecher et al. (2019) ist ein Level 1 Artefakt bestehend aus einer Modellierungstechnik und Modellierungssprache beschrieben. Angewendet wurde das Artefakt in der Entwicklung von eingebetteten Systemen im Automotive Kontext. Die Modellierungstechnik zielt darauf ab, Systemingenieure bei der Analyse von Anforderungen zu unterstützen, um Widersprüche in komplexen Anforderungsspezifikationen frühzeitig zu identifizieren und unnötige Entwicklungsiterationen zu reduzieren (Kontext und Bezug zu einem Geschäftsziel). Basis für die Entwicklung des Artefakts sind umfangreiche Vorarbeiten aus den Forschungsfeldern Requirements Modellierung und Softwaretechnik (Grundlagen/Wissensbasis).

Basierend auf der Anwendung des Level 1 Artefakts und der in (Wiecher et al., 2019) beschriebenen Ergebnisse des Experiments können erste technologische Regeln (z.B.: um Widersprüche in funktionalen Anforderungen aufzudecken, führe die Methode zur automatisierten Anforderungsanalyse aus) und empirische Generalisierungen definiert werden (z.B.: die Anwendung der automatisierten Anforderungsanalyse führt dazu, dass Widersprüche aufgedeckt werden, die sonst erst zu späteren Entwicklungszeitpunkten erkannt werden). Hier wird deutlich, dass bottom-up und iterativ neues Gestaltungswissen entsteht. Ebenso dient die Anwendung zur Konkretisierung des Problems, was z.B. durch neue Anforderungen an das zu entwickelnde Artefakt beschrieben werden kann (z.B.: für die Integration der Methode in bestehende Entwicklungsprozesse muss die Spezifikation von Anforderungen in natürlicher Sprache unterstützt werden).

Literatur

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